Es gibt mittlerweile so viele Adaptionen von Klassikern, sei es als Film, Serie, Game, in Liedern oder Theaterstücken. Vielfach wurden die großen Figuren und monströsen Gestalten als Haupt- oder Nebencharaktere für andere Bücher oder Filme verwendet. So trifft man in dem Film ›Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen‹ auf Dorian Gray oder in der Serie ›Once Upon a Time – Es war einmal‹ auf eine ganze Reihe bekannter Gestalten, unter ihnen Dr. Frankenstein. Auch Jane Austens Romane erfreuen sich zahlreicher Adaptionen.
So hat selbst jemand, der die Klassiker nicht gelesen hat, oft eine bestimmte Vorstellung von einer Figur oder von der Geschichte, die sie umgibt. Je nachdem, welche Umsetzung(en) man gesehen oder gehört hat, ist diese Vorstellung nah am Original – oder auch ziemlich weit weg.
Ich selbst lese sehr gerne Klassiker. Oft waren sie für ihre Zeit sehr wichtig, haben vielleicht etwas Neues in die Literatur gebracht oder für das breite Publikum greifbar gemacht. Über die Jahre hat sich gewissermaßen vorselektiert, was den Status als Klassiker erhalten hat und damit gleichfalls erhalten geblieben ist und was nicht. Das muss nicht immer unumstritten sein.
Im Anschluss will ich euch meine Top 3 der Klassiker vorstellen, von denen ich vor dem Lesen eine bestimmte Vorstellung hatte und beim Lesen dann gemerkt habe, dass ich meilenweit davon entfernt war. Also Trommelwirbel für die drei Klassiker, die mich am meisten überrascht haben.
Platz 3:
Theodor Storm: Ein Doppelgänger
›Ein Doppelgänger‹ (1887) war die erste Novelle von Theodor Storm, die ich jemals gelesen habe. Meine Erwartungen waren gemischt. Verknüpfte ich Storm bislang mit »Von drauß vom Walde komm’ ich her; / Ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr!«, änderte sich dies schlagartig. Obwohl ich auf diese Novelle in einem Seminar über ›Kriminalität in der Literatur‹ stieß, hat die Geschichte um den Ex-Zuchthäusler John Hansen mich tief berührt. Das Taumeln und Straucheln eines Mannes, der versucht mehr zu sein, als die Strafe, die er in jüngeren Jahren bekommen hat. Seine Geschichte ist nicht heiter, sie ist ohne Gnade und bewegend. Eine kurze Geschichte, die mir viele, viele Stunden des und darüber Redens geschenkt hat.
Platz 2
Friedrich Dürrenmatt: Romulus der Große
Inzwischen habe ich einige Bücher von Dürrenmatt gelesen und weiß, dass mich vermutlich jedes seiner Bücher so überrascht hätte. In meinem Fall war das erste Buch von ihm, das ich je las, ›Romulus der Große‹. Kurz darauf folgte ›Der Besuch der alten Dame‹. Es gibt viele Arten eine Geschichte zu erzählen. In den meisten Büchern verwenden die Protagonisten sehr viel Zeit und Energie darauf, einen für sie und ihre Liebsten positiven Ausgang zu erreichen. Die Helden und Heldinnen haben ein Ziel, Steine werden ihnen in den Weg gelegt, und oft schaffen sie es.
Dürrenmatts Erzählstrategie klingt anders: »Eine Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat.« Und obwohl Dürrenmatts Dramen somit mit meinen Erwartungen gebrochen haben, fühlt sich ihr Ausgang innerhalb der Geschichte konsequent an.
Platz 1
Mary W. Shelley: Frankenstein
Meine Erwartungen an ›Frankenstein‹ waren nicht sehr gnädig. Erwartet hatte ich ein blutrünstiges Monster voller Kraft und Schrauben, das nicht weit denken kann, vielleicht nicht einmal den eigenen Namen aussprechen. Kraft hat Frankensteins Monster. Auch Blut fließt in so mancher Szene. Aber mehr stimmte nicht mit meiner Vorstellung überein.
›Frankenstein‹ ist ein Briefroman. Geschrieben von einer jungen Frau, die bei der Erscheinung des Buches kaum zwanzig Jahre jung war. Und Frankensteins Monster ist alles andere als dumm. Es lernt, versucht sich die Welt, die Menschen und sich selbst zu erklären. Da sein Erschaffer ihn schon bei der ›Geburt‹ verlässt und Menschen nicht gnädig auf sein monströses Äußeres reagieren, ist dies auch der einzige Weg, den er hat, um zu lernen. Er beobachtet im Geheimen, bringt sich so die Sprache der Menschen bei, und könnte sicherlich seinen eigenen Namen fehlerfrei aussprechen, wenn man ihm einen gegeben hätte. Doch sein Schöpfer, Dr. Frankenstein, gewährte ihm keinen. Die Gedankenwelt des Monsters und die anscheinende Normalität der Menschen prägen den Roman. Wie wird man zum Monster und wie zum Mann? Durch Taten oder körperliche Monstrosität? Mehr dazu wartet in Mary Shelley Klassiker ›Frankenstein‹, erschienen unter anderem im Fischer-Verlag.
Welcher Klassiker hat Dich bislang am meisten überrascht?

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