Masato Tanaka & Tetsuya Saito: Das illustrierte Kompendium der Philosophie | Rezension

Eine (etwas) andere Geschichte der Philosophie.

Philosophie ist und war schon immer eine streitbare Angelegenheit, die sowohl Ansprüche erhebt als auch Erwartungen schürt. Sie befindet sich sozusagen in einer Art Zwischenraum, in dem der innere Anspruch formuliert wird, auch heute noch eine relevante Stimme in der Wissenschaft zu sein. Ferner wird durch äußere Erwartungen gefordert, Philosophie müsse in der Lage sein, sich in Diskurse einzubringen, um nicht als Laberfach in der wissenschaftlichen Bedeutungslosigkeit zu versinken.

Mittlerweile haben sich in diesem Streit – mehr oder weniger – zwei Lager herausgebildet: Da gibt es diejenigen, die die sogenannte Universitätsphilosophie vertreten, ein Begriff, den der Philosoph Arthur Schopenhauer geprägt hat. Universitätsphilosophie wird, wie es der Name vermuten lässt, an Universitäten gelehrt. Universitäre oder auch akademische Philosoph:innen verstehen sich sodann als Berufsphilosoph:innen. Sie sind diejenigen, die lange studiert haben und den steinigen Abhang emporgestiegen sind, um einen oder mehrere berufsqualifizierende Abschlüsse zu erlangen. Das andere Lager setzt sich aus den Populärphilosoph:innen zusammen. Oftmals haben diese zwar einen akademischen Hintergrund, jedoch muss der nicht zwangsläufig ein philosphischer sein. Dennoch befasst auch diese Gruppe sich mit philosophischen Themen. Beide Lager nähern sich Philosophie auf unterschiedliche Weise: Während akademische Philosoph:innen den Text zum Hauptkriterium auserkoren haben und sich in langer und mühevoller Kleinarbeit an sogenannten Denkproblemen abarbeiten, gehen Populärphilosoph:innen oftmals freier und assoziativer vor. Nicht nur der Text, sondern auch lose Begriffe dienen ihnen als Aufhänger. Beide Ideen der philosophischen Praxis haben jedoch eine Sache gemeinsam: die Frage danach, was Philosophie ist. 

Die Veröffentlichungen, die sich dieser Frage widmen, sind zahlreich und markieren eine mittlerweile über 2500 Jahre alte Geschichte. Genauso vielfältig wie die Philosophie selbst sind auch ihre Einführungen. Sie sind nicht nur vielgestaltig, sondern auch an unterschiedliche Adressatenkreise gerichtet. So gibt es Einführungen, die sich eher den biografischen Stationen der Philosoph:innen widmen. Andere sind historisch ausgerichtet und wieder andere legen ihren Fokus auf die Vermittlung philosophischer Praxis.

Eine besonders gelungene Verbindung aus allen genannten Typen ist den Autoren Masato Tanaka und Tetsuya Saito gelungen. Gemeinsam haben sie ›Das illustrierte Kompendium der Philosophie‹ geschrieben und bei Blumenbar veröffentlicht. Und dennoch ist diese Einführung so ganz anders als andere. Tanaka und Saitos Ziel ist es, Philosophie zu veranschaulichen, »wie sie noch nie zu sehen war«. Und dieses Versprechen lösen sie ein. Mit viel Liebe zum Detail ist nicht nur inhaltlich der Geschichte der Philosophie Rechnung getragen worden. Die Illustrationen konzentrieren sich bei all ihrer Schlichtheit auf die wesentlichen Kernaussagen der Texte, Überlegungen und Ideen der Philosoph:innen, die im Buch behandelt werden. Und das sind einige. 

Um einen möglichst fundierten ersten Zugang in die Philosophie zu schaffen, schlagen die japanischen Autoren einen großen Bogen durch die Geschichte. Für sie fängt die Philosophie in der griechischen Antike mit dem Naturphilosophen Thales von Milet an:

»Naturphilosoph, der in der griechischen Kolonie Milet geboren wurde. Er war einer der sieben Weisen Griechenlands und wurde von Aristoteles als ›Begründer der Philosophie‹ bezeichnet.«

Damit entspricht diese Einführung in diesem Punkt den gängigen Vorstellungen des westlichen Kanons der Philosophie, nachdem diese in Europa entstanden sei. Das Buch beginnt mit einer Anleitung, wie es gelesen werden kann, aber nicht muss:

»Liest man dieses Buch von Anfang bis Ende, erhält man einen groben Überblick darüber, welcher Veränderungen die westliche Philosophie seit ihren Anfängen bei Thales von Milet bis heute durchlaufen hat.«

Bereits zu Beginn wird betont, dass es sich um die Geschichte der westlichen Philosophie handelt. Andere Einführungen, wie etwa Störigs ›Kleine Weltgeschichte der Philosophie‹ gehen anders vor und beziehen auch indische, asiatische und arabische Philosophien in die Tradition mit ein. Als Kompendium kann das Buch wie ein Nachschlagewerk zur schnellen Vergegenwärtigung eines Sachverhaltes oder zur »Vertiefung bestehender Kenntnisse« genutzt werden:

»Verwendet man es hingegen als Terminologiewörterbuch zur Vertiefung bestehender Kenntnisse, hilft das Register am Buchende dabei, Begriffe auf einen Blick zu finden.«

Das Buch gliedert sich in fünf große Teile, die eine grobe Struktur vorgeben. Bei dieser Struktur handelt es sich um die Epochenabschnitte, innerhalb derer sich die Autoren mit dem Leben und Wirken der entsprechenden Philosoph:innen beschäftigen. Sie reichen von der Antike über das Mittelalter, die Neuzeit und die Moderne bis in die Philosophie der Gegenwart. Diese Unterteilung ist nicht nur sinnvoll, wenn man das Buch im Ganzen lesen möchte. Sie hilft darüber hinaus bei der schnellen Orientierung im Buch. Jedem Epochenabschnitt sind Zeittafeln vorangestellt, die veranschaulichen, zu welcher Zeit welche Philosoph:innen gelebt haben. Die Leser:innen erhalten dadurch einen Eindruck der Gleichzeitigkeit von Ereignissen. So lässt sich beispielsweise auf einen Blick erkennen, dass der vorsokratische Philosoph Parmenides (ca. 515–450 v. Chr.) zumindest kurzzeitig ein Zeitgenosse des Sokrates (ca. 469–399 v. Chr.) war.

Bei der Auswahl der Inhalte beweisen Tanaka und Saito ein gutes Gespür und geben auch komplexen, unerwarteten oder überraschenden Themen Raum. Gerade die französische Philosophie der Gegenwart wird in vielen (deutschen) Einführungen oft vernachlässigt. Es ist umso erfreulicher, dass komplizierte Überlegungen, wie das Il y a oder das Antlitz des französischen Philosophen Emmanuel Lévinas den Weg ins Buch gefunden haben. 

»Der Schlüssel zur Flucht vor dem Il y a ist für Lévinas das Antlitz des Anderen. Nehmen wir an, dass Antlitz des Anderen würde an uns appellieren: ›Du sollst nicht töten‹, sähen wir uns gezwungen, nicht aus unserer Vernunft heraus, sondern bedingungslos ethische Verantwortung für den Anderen zu übernehmen. Der Mensch kann nicht autonom (S. 169) agieren.«

Die nicht-europäische Perspektive der Autoren hat sich durchaus positiv auf die Zusammenstellung der Beiträge ausgewirkt, da der Blick nicht der eigenen Betriebsblindheit unterworfen ist. Selbstverständlich lassen sich auch Beiträge zu sogenannten Klassikern der Philosophiegeschichte finden. Die gemeinhin als große Philosoph:innen bezeichneten Denker:innen von Platon, über Kant, Hegel, Wittgenstein bis hin zu Heidegger und Arendt sind allesamt vertreten.

Tanaka und Saito sind keine ausgebildeten Philosophen. Dementsprechend könnte man kritisieren, dass sie sich mit einem Gegenstandsbereich beschäftigen, von dem sie vielleicht weniger Ahnung haben. Diese Kritik zeigt sich als haltlos, wenn man sich ausgiebig mit dem Buch auseinandergesetzt hat. Alle Beiträge sind behutsam ausgewählt und bearbeitet worden.

Fazit zu ›Das illustrierte Kompendium der Philosophie‹

Abschließend bleibt zu sagen, dass eine solche Einführung die bereits angesprochene Arbeit an und in Texten nicht ersetzt. Schon gar nicht, wenn die einzelnen Beiträge so kurz ausfallen, wie hier. Aber das will dieses Buch auch gar nicht. Einführungen können Anreize schaffen oder für neuen gedanklichen Schwung sorgen. Wenn man sich dessen bewusst ist, dann ist auch ›Das illustrierte Kompendium der Philosophie‹ eine unbedingte Empfehlung. Für Anfänger, Fortgeschrittene und jene, die schön gestaltete Bücher lieben.

Buchinfo

Masato Tanaka & Tetsuya Saito: Das illustrierte Kompendium der Philosophie [Cover]

Masato Tanaka & Tetsuya Saito:
Das illustrierte Kompendium der Philosophie

Von Aristoteles über Schopenhauer bis Simone de Beauvoir:
Philosophie, wie sie noch nie zu sehen war
Übersetzer:innen: Jan-Christoph MüllerElena Müller
Blumenbar, Berlin 2021
352 S., EUR (D) 26,- inkl. MwSt.
Hardcover mit Abbildungen
ISBN 978-3-351-05090-0

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