Sebastian Ostritsch: Let’s Play oder Game Over? | Rezension

Eine Philosophie des Computerspiels

Eine Rezension von Guido Heidmann

Buchcover von „Let's Play oder Game Over?“ von Sebastian Ostritsch

Computerspiele sind längst nicht mehr nur ein technisches Nischenprodukt. Und auch das Bild des »blassen« Nerds, der den ganzen Tag ohne menschlichen Kontakt in seinem Zimmer zockt, ist überholt. Ganz im Gegenteil: Gaming ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das lässt sich unter anderem an der medialen Verarbeitung des Thema belegen: Die Streamingplattform Twitch ist eine der erfolgreichsten Medienplattformen überhaupt und verzeichnet Views in Millionenhöhe.

Mit Gaming lässt sich darüber hinaus eine Menge Geld verdienen. In Deutschland zählen Gronkh und Montanablack zu den erfolgreichsten Streamern; sogenannte AAA-Titel verfügen über Budgets in dreistelliger Millionenhöhe. Ein Ende des Trends ist also nicht in Sicht.

Diesem Trend hat sich der Philosoph Sebastian Ostritsch angenommen und widmet sich in seinem neuen Buch »Let’s Play oder Game Over – Eine Ethik des Computerspiels« einer Kultur- und Kunstform, die sich stetig weiter entwickelt und immer wieder neu erfindet. Für Ostritsch sind Computerspiele mehr als nur ein Zeitvertreib:

»Computerspiele sind nun fraglos die Spiele unserer Zeit und können Rückschlüsse auf unsere heutigen Wert- und Normvorstellung geben. Wie wir im Laufe dieses Buches sehen werden, sind Games nicht nur Unterhaltung und Zeitvertreib, sondern darüber hinaus ein Medium, in dem Wünsche, Ängste  und Werte, ja ganze Weltanschauungen auf neuartige Weise zum Ausdruck kommen können.«

Damit zeichnet Ostritsch das Programm seines Buches vor: Es geht ihm nicht nur um eine bloße Kulturgeschichte des Gamings. Ostritsch setzt sich tiefergehend philosophisch mit dem Thema auseinander und denkt gemeinsam mit Sokrates, Immanuel Kant und weiteren Philosoph:innen darüber nach.

»Eine philosophische Reflexion von Computerspielen kann also dazu beitragen, unsere Gesellschaft und letztlich uns selbst besser zu verstehen.«

Ostritsch hat sein Buch in drei Teile aufgeteilt. Der erste Teil setzt sich allgemeiner mit dem Begriff des Computerspiels auseinander und versucht sich über Definitionen an einer ersten Annäherung an das Thema. Wie zum Beispiel lässt sich der Begriff des Spiels erläutern? Bereits diese Frage ist philosophisch. So lässt Ostritsch unter anderem einen der wichtigsten Sprachphilosophen des 20. Jahrhunderts, Ludwig Wittgenstein, in dessen Philosophischen Untersuchungen zu Wort kommen:

»Betrachte z.B. einmal die Vorgänge, die wir ›Spiele‹ nennen. Ich meine Brettspiele, Kartenspiele, Kampfspiele, u.s.w. Was ist allen diesen gemeinsam? – Sag nicht: ›Es muß ihnen etwas gemeinsam sein, sonst hießen sie nicht ›Spiele‹ – sondern schau, ob ihnen allen etwas gemeinsam ist.«

Mit dieser Einlassung zeigt sich wieder, dass Ostritsch sich nicht scheut, philosophisch über den Gegenstandsbereich Spiel nachzudenken. Neben Wittgenstein bezieht der Autor auch Postionen des niederländischen Historikers und Kulturphilosophen Johan Huizinga mit ein. Dessen Hauptwerk trägt den Titel Homo Ludens, das »das Nachdenken über Spiele maßgeblich geprägt hat.«

Der zweite und größte Teil des Buchs nimmt die philosophische Perspektive sowie die Frage nach der Ethik des Computerspiels ein. Direkt zu Beginn stellt Ostritsch mit Sokrates die Frage nach der eigenen Selbsterkenntnis:

»Gnôthi seauton! ›Erkenne dich selbst!‹ – diese Aufforderung zur Selbsterkenntnis, die der Besucher des Apollon-Tempels in Delphi zu lesen bekam, ergeht im Grunde an alle Menschen. Der Mensch ist nicht nur, sondern er denkt und erkennt. Er ist daher in der Lage, auch darüber nachzudenken und zu erkennen, warum er ist und was er ist.«

An dieser Stelle merkt man dem Buch den Sachbuchcharakter deutlich an. So sehr Ostritsch sich um eigene originelle Gedanken bemüht, so sehr wird die Philosophie an vielen Stellen stark popularisiert und für den Zweck des eigenen Programms eingehegt. Man muss Ostritsch natürlich zugute halten, dass das Buch keine Fachpublikation darstellt und sich in erster Linie an Gamer:innen und philosophisch interessierte Laien richtet. Man könnte das Buch demnach als eine fachlich unvollständige und auf Schlagworte reduzierte Einführung in die Philosophie verstehen.

Es gelingt dem Autor jedoch ausgezeichnet, die Dialektik des Gamings herauszuarbeiten. Auf der einen Seite werden Gamer:innen gesellschaftlich kritisch betrachtet, in etwa dann, wenn es um die sogenannte Killerspieldebatte geht. Sind Gamer:innen prinzipiell amoralisch? 

»Übrigens kann man auch in umgekehrter Richtung nach einer moralischen Bewertung der Spieler auf die moralische Qualität eines Spiels schließen: so ist vor allem bei Computerspielen ohne große erzählerische Tiefe zumindest denkbar, dass ein Spieler eine eigene, innere Erzählung entwirft und sie auf das Spielgeschehen projiziert.«

Ostritsch macht aber auch deutlich, dass nicht jede Handlung der Spieler:innen unter moralischen Gesichtspunkten verstanden werden müsse:

»Unter diesen Voraussetzungen wird das Erlebte Handeln der Spieler von keinerlei moralischen Empfindungen begleitet. Dementsprechend gibt es auch unter Ethikern Stimmen, die Computerspiele grundsätzlich nicht als unmoralisch, sondern allenfalls unter bestimmten Bedingungen, als geschmacklos oder anstößig bezeichnen würden.«

Im dritten und letzten Teil gibt Ostritsch einen Ausblick darauf, wie sich Gaming und »das gute Leben« miteinander vereinbaren lassen. Nachdem sich der Autor in den ersten beiden Teilen mit den moralischen Dimensionen des Gamings beschäftigt hat, geht er nun der ethischen Dimension auf den Grund. Das tut Ostritsch wiederum mit einem Verweis auf antike Postionen: 

»Die bedeutendsten Philosophen der Antike – Sokrates, Platon und Aristoteles – waren allesamt Tugendethiker, und auch im Mittelalter war Ethik im Grunde Tugendethik, gepaart mit Naturrecht. […] im Kern geht es bei der Tugendethik darum, dass die Tugend nicht nur der Hort des Guten, sondern zugleich die Quelle des Glücks ist.«

Fazit zu ›Let’s Play oder Game Over

Neben ethischen Erwägungen gibt Ostritsch aber auch den Themen Sexualität und Gender ihren Raum. Insgesamt spannt der Philosoph einen großen Bogen zur Bedeutung der jüngeren Videospielgeschichte. Und auch wenn er sich dabei stellenweise in Doxographie verfängt, ist der Umfang der zitierten Forschung beeindruckend. Sebastian Ostritsch zeigt sich in seinem neuen Buch nicht nur als Philosoph, sondern auch als Gamer, dem Computerspiele nicht nur ein Forschungsgegenstand, sondern eine Herzensangelegenheit sind.

Buchinfo

Buchcover von „Let's Play oder Game Over?“ von Sebastian Ostritsch

Sebastian Ostritsch:
Let’s Play oder Game Over?

Eine Ethik des Computerspiels
DTV, München 2023
256 S., EUR (D) 18,- inkl. MwSt.
Paperback
ISBN 978-3-423-26353-5

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Bewertung: 4 von 5.

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