Wer nach klassischen Versmaßen, festen Reimschemata, Jamben, Trochäen oder Alexandrinern sucht, wird in ›milch und honig‹ kein Glück haben. Doch das ist es auch nicht, was die vielen, vielen überzeugten Leser und Leserinnen an Rupi Kaurs Gedichten schätzen. Es sind zumeist kurze Gedichte in klarer Sprache über das, was schmerzt. Über Liebe, Heilen, Zerbrechen.
Kaur findet Worte für Gefühle und Erfahrungen, für die es sonst nur schwer Worte gibt. Sie erzeugen keine Distanz zwischen der Autorin und ihren Lesern und Leserinnen, sondern überbrücken diese. Jedes Gedicht zeugt von Mut, Reflexion, Verletzlichkeit und Stärke.
»wenn ich wüsste woran sich geborgenheit erkennen lässt wäre ich nicht schon so oft in armen gelandet in denen ich sie nicht fand«
In Kaurs Gedichten geht es nicht darum, komplizierte verborgene Bedeutungen im Gedicht zu finden. Was mit den Gedichten ausgedrückt werden soll, versteckt sich nicht. Es ist deutlich, für jeden sichtbar, subjektiv erfahrbar. Durch diese Klarheit des Ausdrucks und dem Verzicht auf unnötige Schnörkel besitzen Kaurs Gedichte eine spürbare Intensität. Und trotz dieser Klarheit haben ihre Texte Klang.
Die Emotionen, die Rupi Kaur in ihren Gedichten verarbeitet, lösen Beklemmung aus. Bereits mit wenigen Worten trifft sie wunde Punkte, berührt und überzeugt. Und der Erfolg der Autorin zeigt, dass sie damit bei einer breiten Leserschaft ins Schwarze trifft.
Fazit zu ›milch und honig‹
Rupi Kaur schreibt Lyrik in einer Zeit, in der die bevorzugte Gattung der Roman ist. Neben all den Bestsellern der Roman- und Sachbuchwelt behauptet sich ›milch und honig‹. Nicht nur eingefleischten Lyrikfans sind Kaurs Gedichte zu empfehlen. So bleibt zu wünschen, dass in der Zukunft noch weitere tolle Gedichtbände der Autorin zu lesen sein werden.
Das hier dargestellte Cover und die angegebene Ausgabe sowie die Angaben zum Buch können von den derzeit erhältlichen Ausgaben abweichen.
Die Götter haben mit den Figuren von ›Muse of Nightmares 2‹ gespielt. Mit den Frauen von Weep, die sie holten. Mit ihren Männern, die sie meistens zurückließen. Eril-Fane hatten die Götter nicht in der Stadt zurückgelassen, um wie alle anderen darauf zu warten und zu hoffen, dass die Entführten wieder zurückgebracht werden würden.
Skathis, der Gott der Bestien, nahm ihn mit und schenkte ihn der Göttin der Verzweiflung als Spielzeug. Eril-Fanes junge Frau war es, die in Weep zurückblieb und warten musste. Die Jahre vergingen, doch ihr Mann kehrte nicht zurück. Bis Skathis auch vor ihrer Tür auftauchte, um sie zur Zitadelle mitzunehmen. Und die junge Frau war bereit –, glaubte sie zumindest.
Inzwischen sind in ›Muse of Nightmares 2‹ die grausamen Götter längst fort. Doch ihre Spuren haben sie nicht nur an den Gebäuden und Orten, sondern auch an und in den Menschen hinterlassen. In der schwebenden Zitadelle versuchen die letzten der Götterbrut – Kinder gezeugt von Göttern und Menschen – am Leben zu bleiben. Und mit dem Grauen des Tages zu leben, als ein Mensch im Säuglingstrakt all die anderen Kinder der Götter abschlachtete, um die Menschen von den Göttern zu befreien. Doch auch im Schatten der Zitadelle leben noch immer Menschen, die die Schrecken der Götter nicht vergessen können, die zu lange ihr Leben bestimmt haben.
»Die Frauen von Weep teilten ein seltsames Gefühl miteinander, gegen das sie ihr ganzes Leben lang zu kämpfen hatten, nämlich, dass sie nur halb existieren. Sie waren Reststücke, übrig gebliebene Krumen vom Festschmaus der Götter.«
Wie lebt man mit einer Vergangenheit, die so voller Grauen und Verzweiflung ist? Wie lebt man damit, die Schuld auf sich geladen zu haben, die Götter und ihre Babys zu töten? Wie lebt man mit der Erinnerung, als Kleinkind nur in der Lage gewesen zu sein, vier der Babys zu retten, weil man nicht mehr tragen konnte?
»Doch Sarai wusste, was nur sie allein wissen konnte, nämlich dass Eril-Fane jeden Tag die größte Mutprobe ablegte, die sie je gesehen hatte: Um anderen zu helfen, lebte er weiter, obwohl es viel einfacher gewesen wäre, einfach damit aufzuhören.«
›Strange the Dreamer‹, Band 1 und Band 2, sowie ›Muse of Nightmares 1‹ und Band 2, von Laini Taylor stellen diese Fragen. Die Fantasy-Romane zeigen das Leben jener, die übrig geblieben sind: Ihre Versuche, einen Weg hinaus aus Hass, Wut und Verzweiflung zu finden, die nicht immer gelingen können.
Doch obwohl das Grundthema der Bände düster und komplex ist, gelingt es Taylor, eine Romanwelt zu erschaffen, die von der Suche nach Hoffnung, Liebe und Vergebung erfüllt sind. Viele der Überlebenden in ›Muse of Nightmares 2‹ sind Kinder, die nichts für die Verbrechen ihrer Eltern können, sich nicht einmal an sie erinnern, doch deren bloße Existenz genügt, um an diese zu erinnern. Dabei ist Taylors Sprache einfach, klar und zugleich poetisch.
Fazit zu ›Muse of Nightmares 2‹
Ein bisschen schade ist es, dass mehrere Auflösungen von Rätseln und Geheimnissen in ›Muse of Nightmares 2‹ über geraffte Erzählermonologe geschehen und nicht wie bisher an das Erleben und Erinnern der Figuren gebunden sind. Auch die Liebesgeschichte zwischen Lazlo und Sarai hat mich nie ganz überzeugen können, doch im Vergleich zu der unglaublich tiefen und geheimnisvollen Geschichte, die Taylors Romanwelt zu bieten hat, verliert sie dadurch nur wenig.
Wer die Bände ›Strange the Dreamer‹ und ›Muse of Nightmares 1‹ noch nicht kennt, aber eine Schwäche für Geheimnisse, Traumata und Götter hat, dem sind sie wärmstens zu empfehlen.
Buchinfo
Laini Taylor: Muse of Nightmares Das Erwachen der Träumerin Band 2 (Strange the Dreamer Band 4) Roman Übersetzt von: Ulrike Raimer-Nolte One, Köln 2020 368 S., EUR (D) 15,- inkl. MwSt. Hardcover ISBN 978−3−8466−0101−3
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Und dann war ein Mädchen in ›Muse of Nightmares 1‹ vom Himmel gefallen. Blau und wunderschön. Nur in ein Nachthemd aus Seide gehüllt, das Genick gebrochen.
Das erste Mal, dass Lazlo Strange die Frau, die er liebt, in seine Arme nehmen kann, ist sie bereits tot. Doch die Bewohner von Weep, der Stadt, in der sie stirbt, sind in ›Muse of Nightmares 1‹ nicht wegen ihres Todes von Grauen erfüllt. Sondern wegen ihrer blauen Haut.
Die Schrecken, die die blauhäutigen Mesarthim über die Bewohner von Weep brachten, liegen nicht lange zurück. Viele erinnern sich noch an die Zeit, in der Mädchen und Jungen fürchten mussten, von ihnen geholt zu werden. Viele waren selbst darunter und ein Jahr später ohne Erinnerung zurückgebracht worden.
Doch nicht nur die Bewohner von Weep leiden unter den Schrecken der Vergangenheit, von denen sie sich nur befreien konnten, da Eril-Fane alle Mesarthim erschlug. Vier Babys und Kleinkinder überlebten den Tag, an dem sich Weep von den Göttern befreite. Vier von dreißig. Die anderen Babys wurden an jenem Tag wie die anderen Mesarthim erstochen. Zu groß war die Furcht davor, wozu sie heranwachsen und welche Gaben in ihnen schlummern könnten.
»In seinen Herzen hatte [Lazlo] Krieg statt Frieden gewählt, Krieg gegen dieses erbarmungslose, dunkle Kind. Aber Lazlo war nicht für den Kampf geschaffen, und seine Herzen besaßen wenig Talent zum Hassen. Während er Minya gehen sah, so schmächtig und allein, überkam ihn ein erschütternder Moment der Klarheit.«
Viele Fragen sind in ›Muse of Nightmares 1‹ ungeklärt. Was geschah mit den Kindern, die die Götter mit den entführten Menschen zeugten? Wer hatte die Mesarthim gesandt und waren mit ihnen die letzten erwachsenen Mesarthim ausgestorben, die sich noch an eine andere Welt erinnerten?
Der Schmerz und die Angst sitzen tief in ›Muse of Nightmares 1‹ in den Bewohnern von Weep und den letzten Überlebenden der Götter. Schicht für Schicht haben die ersten beiden Bände der Reihe ›Strange the Dreamer 1 und 2‹ die Geschichte um Weep und die Mesarthim aufgebaut. Sie haben die Traumata sichtbar gemacht, die noch immer nicht enden wollen. Eril-Fane, der junge Mann, der die Götter und ihre Kinder erschlug, nachdem er mehrere Jahre als Sklave bei den Mesarthim leben musste und zuvor bereits die Angst und Schrecken mit den Bewohnern von Weep geteilt hatte. Minya, das blauhäutige Mädchen, das sich als einzige an die Schrecken auf dem Säuglingstrakt erinnert, als Eril-Fane kam, und die noch immer nicht vergessen kann, dass sie damals nur drei der dreißig Babys retten konnte. Mehr hatte sie nicht tragen können.
»Oh, Minya kannte den Tod. Schließlich hatte er sie zu dem gemacht, was sie war: ein ewiges Kind, das niemals erwachsen wurde, niemals vergaß und niemals vergab.«
Was für eine Hoffnung gibt es in ›Muse of Nightmares 1‹ für Eril-Fane und Minya, für die Kinder der Götter und die Bewohner von Weep? Können ein so tief sitzender Schmerz und eine so lange andauernde Qual ertragbar werden?
Fazit zu ›Muse of Nightmares 1‹
Mit ›Muse of Nightmares 1‹ ist Taylor eine Fortsetzung gelungen, die ebenso spannend weitergeht, wie ›Strange the Dreamer‹ geendet hatte. Stück für Stück entfalten sich die Perspektiven weiter, zeigen sich mehr der Schrecken und Ängste von Weep und den Kindern der Götter. Viele der Charaktere stehen zwischen gut und böse. Sie sind von den Gedanken geprägt, wie es hätte sein können und wie es nie mehr sein wird. Ein fantastischer Roman über die tiefsten Schrecken und den Versuch, mit ihnen zu leben. Noch einige letzte Geheimnisse lassen gespannt auf das Finale in ›Muse of Nightmares 2‹ warten.
Buchinfo
Laini Taylor: Muse of Nightmares Das Geheimnis des Träumers Buch 1 (Strange the Dreamer 3) Roman Übersetzt von: Ulrike Raimer-Nolte One, Köln 2020 351 S., EUR (D) 15,- inkl. MwSt. Hardcover Erzählendes für junge Erwachsene Altersempfehlung: ab 14 Jahren ISBN 978−3−8466−0100−6
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Monster sind allgegenwärtig. Weder das Monster unter dem Bett noch das Krümelmonster sind aus unserer Erzählwelt wegzudenken. Bereits im Deutschen Wörterbuch, an dem Jacob und Wilhelm Grimm 1838 zu arbeiten begannen, ist es eng mit der Bedeutung des ›Ungeheuers‹ verwoben: das, was dem Menschen nicht geheuer ist.
Über 170 Jahre später wird das Monster namensgebend für Benjamin Maacks mehrfach ausgezeichnetes Werk. In diesem kombiniert er Erzählungen über die Abwege des Menschseins mit kürzeren, eingeschobenen Passagen.
»Es ist plötzlich da«
So beginnt der erste der 19 kapitelartigen Abschnitte des Buchs, die zwischen einer Länge von wenigen Sätzen bis hin zu über 70 Seiten schwanken. Monster spielt mit dem Auflösen von Formen, sodass eine Genrezuschreibung erschwert wird. Bei ›Es‹ handelt es sich um eine Eule, die den Weg von der Straße in Benjamins Kofferraum findet und ihn fortan begleitet. Die Abschnitte wirken auf den ersten Blick voneinander unabhängig. Lediglich der Name ›Benjamin‹ zieht sich durch alle Geschichten, in denen der Protagonist benannt wird. Zwei der Abschnitte bestehen gänzlich aus einer seitenlangen Aneinanderreihung des Buchstabens X oder der Zahl 0.
»Ich glaube nicht an andere Menschen. Ich meine, ich glaube nicht, dass es andere Menschen gibt«,
lautet eine jener zehn Passagen, die Maack zwischen die einzelnen Abschnitte streut. Doch das, was zusammenhangslos wirkt, ergibt am Ende des Buches ein facettenreiches Bild: Maack webt sieben längere Geschichten mithilfe dieser Passagen aneinander. In ihnen wendet sich der Icherzähler unmittelbar an den Leser. Die Passagen rahmen die Erzählungen nicht, sondern halten sie wie Klebstoff aus dem Inneren zusammen.
Im Kontrast zu den wirr-anmutenden Seiten voller Nullen und X‑en ergeben die in sich geschlossenen Kurzgeschichten überraschend viel Sinn. So erzählt Maack in ›Viel schlimmer als die dunklen Räume sind die spiegelnden Fenster‹ die Geschichte von Benjamin und seiner Jugendliebe Kathrin. Benjamin fährt sie und ihren Mann in ihrem abgelegenen Haus besuchen. Spürbar liegt die Schwere der Erinnerung auf Kathrin und Benjamin, doch die Lebenswirklichkeit knüpfte sie an ihren Mann und das, lange bevor dieser an den Rollstuhl gebunden war. Lediglich die Eule, der symbolische Unglücksbote, begleitet Benjamin zurück in seine eigene Wohnung.
In der Erzählung ›Wie sehr hat Las Casas geweint?‹ verwebt Maack die vom Körperlichen dominierte Liebesgeschichte von Benjamin und Nina mit der Geschichte ihres Großvaters. Dieser erzählt Benjamin »wie ein kaputtes Spielzeug« Geschichten von Kolumbus und den Spaniern. Bis der Großvater stirbt.
Maacks Geschichten begleiten die Protagonisten in ihrem Umherirren und sind durch alltägliche Beobachtungen und Erzählsituationen in der Wirklichkeit verankert. Dennoch spielt der Icherzähler in den zwischengeschalteten Passagen mit seiner eigenen Glaubwürdigkeit. So gesteht er gegen Ende, dass eine der Figuren des Anfangs zum Zeitpunkt der Erzählung längst verstorben ist. Und negiert damit eine der Grundannahmen der anfänglichen Erzählung des Buches.
Der Leser wird der bedrückenden Härte der Geschichten bis zuletzt ausgesetzt. Kein Happy End eilt zur Erlösung herbei, sodass die Stimmung nach Abschluss des Buches anhält. Viele Fragen bleiben unbeantwortet: wie, ob sich die ›Benjamins‹ der Geschichten auf ein und dieselbe Person beziehen, oder wo genau sich das Monster in Maacks Erzählungen versteckt hält. Dieses nimmt keine konkrete Gestalt an, während das Figurenpersonal durchaus in Situationen gerät, in denen monströse Züge ihres Wesens zum Vorschein kommen. Sowohl in sexuell expliziter als auch in psychologisch abgründiger oder gewalttätiger Hinsicht.
Doch das Düstere und Unheilvolle erschöpft seine Wirkung mit dem Fortgang des Buches. Die verschiedenen Gesichter des Monsters sind gezeigt, ihre Geschichten in Druckerschwärze gebannt.
Zurück bleibt das Scheitern des Protagonisten, das sich als Bodensatz durch die Geschichten zieht.
Bei der Preisverleihung des Hermann Hesse Förderpreises, den Maack für ›Monster‹ erhielt, berichtet er von der Entstehungszeit des Buches:
»Früher hab ich jedes Mal mit schrecklichen Ängsten gekämpft, wenn ich mich zum Schreiben hinsetzte.«
Eine
schonungslose Authentizität, die sich im gesamten Werk widerspiegelt.
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