Das Waisenkind Jane Eyre hat alles andere als eine rosige Kindheit. Weder bei ihrer verwitweten Tante Mrs. Reed noch im Internat Lowood kann das ruhige und intelligente Mädchen in Ruhe leben. Immer wieder ist sie Anfeindungen Gemeinheiten ausgesetzt. Typhus und Tuberkulose suchen das Internat heim.
Erst nachdem der Leiter des Internats entlassen ist, beginnt für Jane Eyre eine angenehmere Zeit. Erst bleibt sie als Lehrerin in Lowood, doch nachdem ihre Vertraute das Internat verlässt, hält auch Jane nichts mehr dort.
Und Jane würde heute nicht als die wohl bekannteste englische Gouvernante in der Literatur gelten, wenn sie danach nicht eine Stelle als Gouvernante für ein Mädchen auf Thornfield Hall angenommen hätte.
»Wie gern hätte ich bessere Fähigkeiten besessen als die Gabe, ungestüme und hitzige Reden zu führen, wie gern ein weniger grimmiges Gefühl in mir genährt als finstere Empörung!«
Geht es auf dem Anwesen anfangs sehr ruhig und friedlich zu, ändert sich dies schnell, als der Hausherr Mr. Rochester zurückkommt – ein oftmals verbittert und düsterer Mann. Schnell merken die beiden, dass den anderen etwas Besonderes umgibt. Doch während die beiden immer wieder in lange Unterhaltungen miteinander verstrickt werden, spürt Jane, dass Thornfield Hall ein Geheimnis hat. Rätselhafte und unheimliche Dinge geschehen auf dem Anwesen, für die sie keine Erklärung finden kann.
Ein Geheimnis, das nicht nur Mr. Rochester, sondern bald auch Jane und alle, die auf Thornfield Hall leben, in Gefahr bringt.
»Acht Jahre! Da müssen Sie aber eine zähne Natur haben. Ich war der Meinung, schon die halbe Zeit an so einem Ort genügtem um den robustesten Menschen umzubringen. Kein Wunder, dass Sie beinahe so aussehen, als kämen Sie aus einer anderen Welt.«
Als Charlotte Brontë ›Jane Eyre‹ 1847 veröffentlichte, tat sie dies unter dem Pseudonym Currer Bell. Doch der Roman erhielt, ebenso wie ›Sturmhöhe‹ von ihrer Schwester Emily Brontë, schnell Bekanntheit. Auch ihre Schwester Anne Brontë schrieb Romane, unter anderen ›Agnes Grey‹.
Der Klassiker ›Jane Eyre‹ besticht durch kluge Dialoge, vor allem zwischen Jane und Mr. Rochester. Weder Geschlechter- noch Standesschranken scheinen Jane bei ihrer Entwicklung in Thornfield Hall stark einzuschränken. Und obwohl zu Beginn ihrer Anstellung als Gouvernante erst 18 Jahre jung ist, muss sich ihre Intelligenz und ihre Schlagfertigkeit nicht verstecken.
»Manchmal kommen Sie mir vor wie ein neugieriger Vogel hinter den engen Gitterstäben seines Käfigs, der sich, wäre er frei, hoch in die Lüfte erhöbe.«
Fazit zu ›Jane Eyre‹
Charlotte Brontë verwebt in ihrem Roman die Geschichten zweier vollkommen unterschiedlicher Leben, die mit sich und ihren Umständen zu kämpfen haben. Zugleich wird das Kennenlernen der beiden von dem Gefühl beschattet, dass auf Thornfield Hall etwas nicht stimmt.
Damals wie heute fesselt der Roman durch seine Eindringlichkeit, seine Spannung und seine abwechslungsreichen Charaktere. Ein Klassiker, den man auf jeden Fall gelesen haben sollte.
Buchinfo
Charlotte Brontë: Jane Eyre. Eine Autobiographie Teil des Schubers: Die großen Romane der Schwestern Brontë Reclam, Stuttgart 2020 1434 S. (734 S.), EUR (D) 28,- inkl. MwSt. gebunden, im Schuber ISBN 978−3−15−030066−4
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Drei Schwestern, ihre Pseudonyme und zwei Jahrhunderte.
Als die drei Brontë-Schwester – Anne, Charlotte und Emily – die Romane dieses Schubers Mitte des 19. Jahrhunderts veröffentlichten, geschah dies unter männlichen Pseudonymen, etliche Jahre bevor ›Die großen Romane der Schwestern Brontë‹ zusammen veröffentlicht werden sollten. Charlotte war kaum 30 Jahre jung, als Jane Eyre erschien, auch Emily und Anne waren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Sturmhöhe (Wuthering Heights) und Agnes Grey erst Ende 20.
Emily und Anne starben bereits wenige Jahre nach der Veröffentlichung, Charlotte sollte mit nur 38 Jahren das längste Leben unter den Geschwistern vergönnt sein.
Sturmhöhe erzählt die Geschichte des Findelkindes Heathcliff und der Tochter des Mannes, in dessen Obhut Heathcliff aufwächst – Catherine Earnshaw –, über mehrere Generationen hinweg. Die Verbindung der beiden zueinander ist stark, sie ähneln sich in ihrem Temperament, ihren Leidenschaften und ihrer Willensstärke. Doch nachdem der alte Earnshaw stirbt, ändert sich das Leben auf Wuthering Heights. Catherines Bruder Hindley setzt alles daran, vor allem Heathcliffs Leben zur Hölle zu machen. Als auch noch der zukünftige Erbe des Herrenhauses Thrushcross Grange um Catherine wirbt, brechen die Geschehnisse über den beiden herein.
Emily Brontës Roman wird von der düsteren Atmosphäre der Hochmoore von Yorkshire und der Wildheit und Leidenschaft von Heathcliff und Catherine Earnshaw getragen. Während ihre besondere Freundschaft in ihrer Jugend gedeihen kann, droht sie unter den Anforderungen des Erwachsenenlebens zu zerbrechen.
Charlotte Brontës Roman Jane Eyre ist mit Abstand der umfangreichste der drei Bände des Schubers ›Die großen Romane der Schwestern Brontë‹. Er erzählt die Lebensgeschichte der gleichnamigen Icherzählerin, die als Waise unter bedrückenden und schlechten Verhältnissen aufwächst.
Erst als ihre Vertraute, die Schulleiterin Miss Temple, das Internat Lowood verlässt, in dem Jane seit ihrer Kindheit lebt und nun als Lehrerin arbeitet, geht auch sie von dort fort. Sie tritt auf Thornfield eine Stelle als Gouvernante an. Bald entwickelt sich ein Band des Respektes und der gegenseitigen Anerkennung zwischen ihr und dem Hausherrn Mr. Rochester.
Doch immer wieder wird ihre Zeit auf Thornfield von seltsamen und unheimlichen Ereignissen unterbrochen, die bald schon nicht mehr nur zur Probe für Jane werden, sondern auch an Mr. Rochester nicht spurlos vorübergehen.
Auch Anne Brontës Roman Agnes Grey erzählt die Geschichte einer jungen Gouvernante. Doch im Vergleich zu Jane wächst Agnes in behüteten und liebevollen Verhältnissen auf und ihr Wunsch, als Erzieherin zu arbeiten, rührt vor allem da her, ihrer Familie helfen und nützlich sein zu wollen.
Doch ihre Leben als Gouvernante erweist sich als weitaus schwieriger als bislang angenommen und da ihre Schülerinnen über vollständig andere Werte verfügen, als jene, die ihr wichtig sind, vereinsamt die junge Frau zusehends. Erst in dem jungen Geistlichen, Edward Weston, scheint die junge Frau eine verwandte Seele gefunden zu haben. Doch durch die Abhängigkeit, in der sie als Gouvernante lebt, steht sie bald vor weiteren Problemen.
So unterschiedlich diese drei Romane in ›Die großen Romane der Schwestern Brontë‹ auch sein mögen, so fehlt es ihnen nicht an Gemeinsamkeiten. Jane Eyre und Agnes Grey erzählen die Geschichte einer jungen Gouvernante, die versucht einen Ort und einen Menschen zu finden, an den und zu dem sie gehört. Auch Catherine Earnshaw versucht, sich ein Leben aufzubauen, das besser ist als jenes, das sie auf Wuthering Heights führen kann. Ihre Verbindungen zu Männern werden entweder durch ihren sozialen Stand und ihre Wertevorstellungen erschwert, auf die Probe gestellt oder drohen, verhindert zu werden.
Agnes Grey zeichnet sich nicht durch die Düsternis und die unheimliche Atmosphäre aus, die in Jane Eyre und Sturmhöhe bisweilen herrscht. Und doch geben alle drei Romane in ›Die großen Romane der Schwestern Brontë‹ einen Einblick in die Schwierigkeiten von Frauen – und Männern –, denen sich diese im 19. Jahrhundert gegenüber fanden, unter Schicksalsschlägen und Entbehrungen.
Fazit zu ›Die großen Romane der Schwestern Brontë‹
Noch heute haftet den Romanen ›Die großen Romane der Schwestern Brontë‹ eine Intensität und Stimmung an, die den Leser oder die Leserin in die Welt der Romane ziehen kann: in Moorlandschaften, alte Herrenhöfe und Grafschaften. Zugleich sind ›Die großen Romane der Schwestern Brontë‹ Zeugnis der literarischen Produktion von Frauen, denen die Umstände geboten, unter männlichen Pseudonymen zu veröffentlichen. Nicht nur für Fans von Klassikern sind diese Romane ein Muss. Durch diesen wunderschönen Schuber von Reclam wird nicht nur der Inhalt zum Erlebnis, auch optisch können die Bände begeistern.
Buchinfo
Die Brontë-Schwestern: Die großen Romane der Schwestern Brontë Drei Bände im Schuber: Anne Brontë: Agnes Grey | Charlotte Brontë: Jane Eyre | Emily Brontë: Sturmhöhe Reclam, Stuttgart 2020 insgesamt 1434 S., EUR (D) 28,- inkl. MwSt. gebunden, im Schuber ISBN 978−3−15−030066−4
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Vom Wusch, Gouvernante zu werden und sich selbst treu zu bleiben.
Als sich eine junge, vornehme Frau aus gutem Hause entscheidet, einen Geistlichen zu heiraten, wird sie enterbt und verliert jeglichen Kontakt zu ihrer Familie. Von da an muss sie auf alle Annehmlichkeiten verzichten, die sie bislang kannte, doch bereuen wird sie ihre Entscheidung nie.
Spätestens als ihre Töchter Mary und die jüngere Agnes geboren werden, ist ihr Glück perfekt. Doch ihr Mann kann nie ganz überwinden, dass er seine Frau um so vieles gebracht hat, und investiert in riskante finanzielle Geschäfte. Als sich seine Hoffnungen zerschlagen, steht die Familie einem Schuldenberg gegenüber. Während die ältere Tochter Mary selbst gezeichnete Aquarelle verkauft, will Agnes eine Stelle als Gouvernante antreten, um die Familie unterstützen zu können.
Doch obwohl Agnes überzeugt ist, als Erzieherin zurechtzukommen, da sie sich selbst noch gut in ihre Bedürfnisse einzufühlen zu können glaubt, stößt sie vor viele Probleme. Während die Erwartung an sie kaum größer sein könnten, hat sie bei der Wahl ihrer Erziehungsmethoden allerlei Einschränkungen hinzunehmen.
»Hätte sie der Gattung der Tiere angehört, wäre Matilda akzeptabel gewesen in ihrer Lebhaftigkeit, Vitalität und ihrem Bewegungsdrang, als menschliches Wesen aber war sie ungeheuer einfältig, ungelehrig, gleichgültig und unvernünftig und somit eine Qual für jemanden, der die Aufgabe hatte, ihren Verstand zu entwickeln, ihre Umgangsformen zu verbessern und ihr zu helfen, sich zu schmücken und zurechtzumachen, was sie, im Gegensatz zu ihrer Schwester, wie alles andere auch verachtete.«
Agnes merkt schnell, dass die Wertevorstellungen ihrer Schützlinge und ihrer Familien weit entfernt von ihren eigenen liegen. Da sie sich kaum mit jemandem austauschen kann, der ihr ähnlich ist, beginnt die junge Frau, zu vereinsamen.
›Agnes Grey‹ erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die durch ihre berufliche Stellung in einer Art ›Dazwischen‹-Zustand leben muss. Weder zu den vornehmen Personen gehörend, die sie erziehen muss, noch zur Dienerschaft, scheint sie für die meisten Menschen um sie herum fast unsichtbar zu sein. Sie wird selten gegrüßt oder angesprochen, noch seltener nach ihrem Befinden gefragt.
Doch während Agnes für die meisten ihrer Mitmenschen unsichtbar ist, nimmt die junge Frau die Welt um sie herum wahr: die Liebeleien und Verfehlungen ihrer Schüler und Schülerinnen. Zwar ist diese Wahrnehmung durchweg durch Agnes besonderen Blick auf die Welt gefärbt – sie ist christlich erzogen und schätzt vor allem christliche Tugenden wie die Nächstenliebe –, doch ermahnt sie sich mehrmals zur Reflexion.
So legt Anne Brontë in ihrem Romandebüt ›Agnes Grey‹ eine Charakterstudie vor, die durch die kontrastierende Gegenüberstellung von Personen an Schärfe gewinnt.
»… da ich es aber mit eigenen Augen sah und auch darunter litt, konnte ich nur folgern, dass übermäßige Eitelkeit genau wie Trunksucht das Herz verhärtet, die natürlichen Anlagen verkümmern lässt und die Gefühle verdirbt; und dass Hunde nicht die einzigen Geschöpfe sind, die, nachdem sie sich bis obenhin satt gefressen haben, sich noch über das freuen, was sie gar nicht mehr herunterbringen, dem hungernden Bruder aber noch den kleinsten Bissen missgönnen.«
Dieser wunderschöne Schuber, dessen einzelne Romane mit Nachworten versehen sind, lädt dazu ein, die drei großen Romane der Brontë-Schwestern vergleichend zu betrachten.
So fällt auf, dass ›Agnes Grey‹ weit weniger unheimlich und rätselhaft erscheint als das Anwesen in ›Jane Eyre‹ oder die Moorlandschaft von ›Sturmhöhe‹. Auch die zerstörerische Leidenschaft, die vor allem ›Sturmhöhe‹ innewohnt, scheint dem Roman fern. Und doch erzählt ›Agnes Grey‹ auf seine Weise die Geschichte einer jungen Frau, die sich ihren Weg vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Stellungen, Hinterlist und Liebe zu erkämpfen suchte.
»Das menschliche Herz ist sehr dehnbar: Schon eine Kleinigkeit lässt es schwellen, aber es bedarf großer Anlässe, es zum Bersten zu bringen. Denn wenn auch ›schon ein wenig mehr als nichts das Herz beunruhigt, braucht’s doch kaum weniger als alles‹, es zu brechen. So wie unsere Gliedmaßen besitzt auch das Herz eine eigene lebendige Kraft, die es gegen Verletzungen von außen stark macht.«
Fazit zu ›Agnes Grey‹
Nach ›Agnes Grey‹ veröffentlichte Anne Brontë (1820–1849) nur ein weiteres Werk – ›The Tenant of Wildfell Hall‹ (›Die Herrin von Wildfell Hall‹) –, bevor sie 1849 im Alter von 29 Jahren verstarb. Doch das im Vergleich zu ›Jane Eyre‹ und ›Sturmhöhe‹ oft weniger bekannte Werk der jüngsten der Brontë-Schwestern ist definitiv eine nähere Betrachtung wert.
Buchinfo
Anne Brontë: Agnes Grey Teil des Schubers: Die großen Romane der Schwestern Brontë Reclam, Stuttgart 2020 1434 S. (256 S.), EUR (D) 28,- inkl. MwSt. gebunden, im Schuber ISBN 978−3−15−030066−4
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